Jahresrückblick 2016

Neubrandenburg Nazifrei Jahresückblick 2016
Wo rechte Ideen zur Verhandlungsmasse werden, wird Nationalismus zur Normalität

Um es im Kölner Polizeisprech auszudrücken: Das Jahr 2016 war ziemlich „eigirei“ (ereignisreich) und es ist absehbar, dass auch 2017 gesellschaftliches Engagement in besonderem Maße gefordert sein wird. Aber der Reihe nach:

Das Jahr war, wie auch schon 2015, von einer vorher undenkbaren rassistischen Mobilisierung geprägt. Rechte Demonstrationen fanden Ende 2015/ Anfang 2016 teilweise im Wochentakt statt und konnten außerhalb des üblich klassischen Neonazi-Klientels auch Bürger_innen erreichen und so marschierten die sonst so netten Nachbarn oder ein entfernter Bekannter plötzlich bei einer der vielen NPD organisierten MVgida Demos mit. Hand in Hand mit Neonazis.

Das politische Gefüge wurde vor allem im Internet, durch die AfD und dem selbsternannten Volk lauthals aus den Fugen kommentiert, so dass sich der politische Trend immer weiter nach rechts verschob. Aufgrund dieser Grundstimmung gab es in diesem und im letzten Jahr unzählige Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Geflüchtete und deren Unterstützer_innen. Dieses Bild prägte auch den Landtagswahlkampf und so marschierten im Januar rund 500 Personen – enttäuschte Bürger_innen und waschechte Neonazis, von denen einige im Vorjahr noch alternative Jugendliche in Burg Stargard angriffen durch die Neubrandenburger Innenstadt, zusammen mit der AfD unter dem Motto „Asylchaos stoppen“.
Neonazis und Menschen aus der Mitte der Gesellschaft spazierten nebeneinander her, als wäre es schon immer so gewesen und keiner Skandalisierung nötig. Spätestens jetzt war klar, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit drohten gesellschaftsfähig zu werden. Nachdem im März die letzte MVgida Demonstration in Neubrandenburg stattfand, beteiligten wir uns wieder an den alljährlichen Protesten anlässlich des 1. und 8. Mai in Schwerin bzw. Demmin. Wir mussten erneut feststellen, dass die Staatsgewalt bereit ist, Neonazidemonstrationen den Weg freizuprügeln, während deutschlandweit Geflüchtetenheime angegriffen wurden und werden. Diesen Zuständen konnten wir nicht tatenlos zuschauen. Das Internet wurde zum Resonanzkörper der neu – und alt Rechten Bewegung und jedes noch so kleine Ereignis wurde in der Echokammer kommunikativer Inzucht immer weiter aufgeblasen. Diese Filterblase der Hasspostings, Kommentare und Schlagzeilen versuchten wir zu durchbrechen, um etwas gegen das allgemeine Ohnmachtsgefühl zu tun. Wir starteten zeitgleich zum Beginn der heißen Phase des Landtagswahlkampfes eine Onlinekampagne gegen die falschen Verprechen der AfD, nahmen deren Wahlprogramm auseinander und formulierten eigene Ziele, um den völkischen „Lösungsansätzen“ mit Argumenten zu begegnen. Unsere Alternative war und ist eine andere, eine offene, vielfältige, eine selbstbestimmte und solidarische Gesellschaft und so konnten wir immer zahlreich Menschen zu unseren Gegenveranstaltungen mobilisieren. Auch unsere Briefkastenaufkleber gegen Werbung rechter Parteien und Gruppen wurde landesweit gut angenommen. Die Landtagswahl im September wurde zum Spiegelbild der immer mehr gespaltenen Gesellschaft und der Rechtsruck manifestierte sich in 20,8 % der Stimmen für die AfD, eine Partei, die nur vorgaukelt im Sinne des Volkes zu agieren. Gleichzeitig flog die NPD aus dem Landtag, erfreulich zwar, aber der offene Rassismus war schon längst salonfähig geworden.

Der Start für die AfD im Schweriner Schloss verlief holprig, erste interne Positionierungskämpfe prägten das Bild, die Routinen im Landtag waren neu und ungewohnt, so ebbten auch Ihre Aufmärsche sichtlich ab. Gleichzeitig startete die Kameradschaftsszene neu und versuchte, sich mithilfe eigener Demonstrationen zu vernetzen, im Ergebnis mit offensichtlichen Kontakten zur berüchtigten rechten Szene in Sachsen und Thüringen. Diese Demonstrationen begleiteten wir in Waren immer wieder mit den dort ansässigen Genoss_innen und führten auch Gegenkundgebungen durch. Auch in Neubrandenburg gibt es eine Reihe neuer Aktivist_innen, die auch spontan und selbstständig agieren, wie beispielsweise bei der NPD Wahlkampftour auf dem Marktplatz im Sommer. Genau diese Aktionen machen uns Mut und wir bedanken uns auch bei allen anderen Menschen, die uns 2016 unterstützt haben, ob hinter dem Schreibtisch oder auf der Straße.

Im November organisierten wir noch einige Veranstaltungen im Rahmen der jährlich stattfindenen „Aktionswochen gegen Antisemitismus“ und waren erstaunt, wie viele Bürger_innen an den Veranstaltungen teilnahmen, so dass besonders am Ende ein vollbesetzter Kinosaal unsere Herzen höher schlagen ließ.
Neben einem Stadtspaziergang zum jüdischen Leben in Neubrandenburg widmete sich auch ein Vortrag dem im Landgericht stattfindenen Auschwitzprozess gegen den ehemaligen SS Sanitäter Hubert Zafke.
Dieses Thema ist in diesem Jahr leider zu kurz gekommen und die Referent_innen erinnerten uns an die Tragweite und Wichtigkeit dieses Prozesses und beklagten das mangelnde Interesse im Gericht, so dass oft so gut wie alle der Besucher_innenplätze im Verhandlungssaal leer blieben. Das wollen wir ändern! Anfang 2017 soll dieser voraussichtlich erneut starten und wir rufen jetzt schon zur Teilnahme auf. Ihr könnt euch auch unter www.auschwitz-prozess-nb.de, über den bisherigen skandalösen Verlauf informieren. Vor wenigen Wochen bekundeten Neonazis in Mecklenburg Vorpommern mit einer Flyeraktion Solidarität mit dem Angeklagten, so dass beim nächsten Gerichtstermin auch mit diesem Klientel unter den Zuschauer_innen gerechnet werden muss. Unterstützt bitte die Anwälte der Opfer und zeigt die Relevanz solcher Prozesse durch eurer Anwesenheit! Wir halten euch dazu auf dem Laufenden.

Auch im nächsten Jahr wird es sicher nicht einfacher. Der Mob tobt weiterhin bei jeder Gelegenheit im Internet und auf der Straße. Opfer von Anschlägen werden instrumentalisiert um die Menschen auf der Welt noch weiter gegeneinander auszuspielen und den rassistischen Wahlkampf für die Bundestagswahl anzukurbeln. Wir befinden uns in einer Krise des Diskurses und man hat das Gefühl, dass die Zeit der faktenbasierten und sachlichen Debatten vorbei zu sein scheint.

Wir stellen uns schon jetzt auf viel Arbeit ein, daher appellieren wir auch 2017 an euch mit uns auf die Straße zu gehen, wenn sich Nazis oder neu rechte Bürger_innen ankündigen. Informiert jede einzelne Person eures Freundeskreises, werdet proaktiv, informiert euch, wie Ihr gut argumentieren könnt, nutzt die vielen Kampagnen als Diskussionsgrundlagen. Seit wachsam und tut etwas gegen diesen unmenschlichen Hass, sei es nur in eurem eigenen Umfeld. Geschlossene Grenzen führen weder dazu, dass es uns, noch dem Rest der Welt besser gehen wird. Die Grenze verläuft nicht zwischen den Menschen, sondern zwischen Arm und Reich. Es gibt viele Protestwähler_innen, die noch überzeugt werden können, die Finger von rassistischen Parteien zu lassen. Auch in Neubrandenburg werden oft Diskussionen mit Geschichten geführt, die man mal bei Facebook oder von eine_m Freund_in gelesen/gehört hat – jedoch selten mit faktenbasiertem Hintergrundwissen – letzteres ist jedoch die Stärke der Menschen, die sich nicht einfach mit Halbwahrheiten ködern lassen. Es ist wichtig diesen Geschichten Fakten entgegenzusetzen und es ist wichtig, diesen Stimmen zu widersprechen wo immer Sie ertönen.
Die jüngsten Anschläge auf linke Projekte in Rostock sowie der Angriff in Güstrow am vergangenen Wochenende sprechen eindeutig dafür, dass sich die Neonazis von der Stimmung im Land ermächtigt fühlen wieder offensiver aufzutreten.

Wir brauchen keine weiteren Opfer rechter Gewalt! Wir brauchen keine rassistische Partei, weder im Brauhaus (wöchentl. AfD Stammtisch), noch im Landtag, noch im Bundestag!

Es wäre wünschenswert, wenn die Gesellschaft endlich zusammen, geschlossen aufsteht und sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner konzentrieren würde, nämlich dem Kampf gegen den Faschismus, um den Rechtsruck in die Schranken zu weisen. Wenn uns dies gelingt, können wir gemeinsam über wirkliche Alternativen zur derzeitigen Politik oder Gesellschaftsform diskutieren und wären der Solidarität unter den Menschen ein ganzes Stück näher gekommen.